Die Hansens fühlten sich als eine glückliche Familie, Petra, Bernd und ihr 10 Jahre alter Sohn Lukas. Das einzige was ihnen fehlte war ein Hund, ein lieber toller Familienhund sollte es sein. Rasse und Ursprung war den Hansens eher gleich, denn ein Hund ist ein Hund und lieb sind sie ja alle. Ein hoher Anschaffungspreis war für sie kein Qualitätsmerkmal und das einzige was ihrer Meinung nach ein kleiner Welpe benötigte um ein lieber großer Freund zu werden, ist Liebe und Verständnis.
Das Angebot an Welpen war riesig und so durchforsteten die Hansens das Internet, nach einem süßen kleinen Welpen. Nach großer Recherche und Preisvergleichen hatten die Hansens ihren Welpen gefunden. Ramses war ein kleiner süßer Hovawart-Schäferhund-Mix. Die Mutter war ein Hovawart und hatte ihre 9 Welpen liebevoll umsorgt. Der Züchter sagte, seine Hündin ist ein rundum lieber, verschmuster Hund, der zwar hauptsächlich draußen auf dem Hof der Familie lebt, aber ständig Kontakt mit den Stalltieren und den Menschen auf dem Hof hatte. Den Vater der Welpen konnten die Hansens nur auf einem Foto betrachten, er soll ein ausgebildeter Sporthund gewesen sein, der bereits viele Preise gewonnen hatte. Die Hansens waren begeistert, vom süßen Welpen, von der umgänglichen Hundemama und vom preisgekrönten Vater der Welpen. Eine tolle Mischung für den perfekten Familienhund.
Da Welpen ihre Mutter brauchen, wurde Ramses in der 12. Woche abgegeben und konnte so noch viel von seiner Hundemama lernen, um ein toller Familienhund zu werden. Er durchlebte seine sensible Phase zusammen mit seiner Mutter auf dem Hof.
Dass die liebe Hundemama fremde Besucher auf dem Hof lautstark meldete und hin und wieder leicht in die Hose zwackte, sollte nicht überbewertet werden. Ein Hund soll seine Familie und sein Revier schon beschützen können und ernsthaft zugebissen hatte die Hundemama noch nie, so der erfahrene Hobbyzüchter, der es ja wissen musste.
Der große, glückliche Tag war gekommen und Ramses erreichte sein neues Zuhause. Petra hatte sich bereits vor Wochen in sozialen Netzwerken eingelesen und war Mitglied verschiedenster Hundegruppen. Auch zwei Welpenbücher hatten Petra und Bernd studiert, was sollte jetzt noch schief gehen.
Ramses sollte sich die nächsten Tage eingewöhnen und die Hansens hatten bereits einen Wäschekorb -gefüllt mit Plüschspielzeug, die so toll quitschen, Bällen und Kauknoten- im Wohnzimmer platziert, damit Ramses genügend Auswahl zum Spielen und Toben hatte. Um eine gute Bindung zum Sohn Lukas aufzubauen, durfte Ramses im Kinderzimmer übernachten, da Lukas bereits seit Wochen kein anderes Thema mehr hatte, wo Ramses schlafen sollte.
Am ersten Tag erkundete Ramses nicht wie erwartet sofort sein neues Zuhause und traute sich stattdessen nur sehr zögerlich ins Haus, nachdem die Hansens endlich das lockende Spielzeug ausgemacht hatten, auf welches Ramses offensichtlich reagierte. Das braune Quitschhündchen lockte Ramses in die gute Stube, doch bereits in der Diele war Ramses wieder unsicher und saß mit großen Augen an der verschlossenen Haustüre. Alle drei Hansens lagen auf der Türschwelle zwischen Diele und Wohnzimmer und versuchten Ramses ins Wohnzimmer zu locken. Nach über einer Stunde Plüschtierquitsch-Konzert und anderen Lockversuchen, lief Ramses zielstrebig unter den Wohnzimmertisch, um völlig erschöpft prompt einzuschlafen.
Zum Spielen wurde Ramses von Lukas regelmäßig geweckt, Ramses sollte ja Abends müde sein, wenn die Hansens den Alltag ausklingen ließen. Als bestes Spielzeug hatte sich das braune Quietschhündchen gezeigt, dann ging es vom Schlafmodus blitzartig ins Spielen und Toben über, so toll und süß, dass Petra schon einige spaßige Videos mit dem Smartphone einschnappte und in den sozialen Netzwerken Ramses und Lukas bewundern ließ. Ramses fand oft kein Ende und zerrte mit Lukas um die Wette. Hatte Lukas keine Lust mehr zu toben, musste Ramses allein weiterspielen, bis er oft auf seinen Spielzeugen einschlief.
In den nächsten Wochen entwickelte sich Ramses schnell weiter. Er fühlte sich in allen Wohnräumen wohl und im Garten zeigte er schon mit einem süßen Beller an, wenn Nachbarn am Gartenzaun entlang gingen. Ab und an hatte Frau Berger auch ein Leckerlie dabei und Ramses bekam ihn durch den Zaun gereicht. Ramses freute sich immer auf Frau Berger und er war sehr gerne in seinem Garten.
Ramses übertrieb mittlerweile beim Spielen und wollte sein Spielzeug nicht teilen. Egal welches Spielzeug Lukas in die Hand nahm, genau dieses Spielzeug wollte dann Ramses haben, knurrte und bellte Lukas an. Auch seine täglichen, unkontrollierten wilden Abdreher auf Sessel, Couch und allem was nicht gesichert ist, fand Petra mittlerweile nicht mehr schön. In den Internet-Gruppen wurde Petra von einigen erfahrenen Hundehaltern belächelt und wie sie nun wusste, machen das alle Welpen und zwicken auch hin und wieder spielend in Hände und Hosenbeinen. Das Ramses schon so einige Zahnabdrücke in die Hände von Lukas und auch Petra hinterlassen hatte, wollte sie lieber gar nicht erwähnen. Wenn Ramses wieder seine dollen 10 Minuten hatte, versuchten die Hansens verschiedene Spielzeuge anzubieten, in die Ramses lieber beißen durfte, bis sich das wilde Toben altersbedingt eh wieder legte.
Auf den täglichen Spaziergängen war Ramses sehr aufgeweckt und neugierig. Hundebegegnungen liefen freundlich ab, da Ramses nur aufs Spielen mit anderen Hunden aus war. Da Ramses nicht so gerne kam wenn man nach ihm rief, ließen die Hansens Ramses nur an der Leine mit anderen Hunden spielen.
Ramses war mittlerweile 9 Monate alt und zu einem kräftigen jungen Rüden herangewachsen. Wenn Ramses gefüttert wurde, mussten die Hansens die Küche verlassen, damit Ramses in Ruhe fressen konnte. Ramses hatte es gar nicht gern, wenn man ihm beim Fressen zu Nahe kam. Wenn Besuch erwartet wurde, mussten die Hansens Ramses ins Gästezimmer eingeschließen, da er Fremde hin und wieder attackierte und bereits die eine oder andere Hose löcherte und wenn Gäste sich von ihrem Platz fortbewegten, ließ Ramses auch gern mal den Besuch strammstehen.
Leider ließ Ramses auch hin und wieder ein Familienmitglied strammstehen. Sobald ein ins Haus getragene Postpaket oder eine Einkaufstasche abgestellt wurde, nahm Ramses das neue Objekt in Anspruch und ließ niemanden mehr daran Hand anlegen. Bisher hatte sich Ramses zumeist mit Spielzeug noch ablenken lassen, aber Lukas wurde mittlerweile richtig heftig in den Arm gebissen. Bernd hatte schon mehrfach darauf hingewiesen, dass Lukas zu heftig mit dem Plüschtier rumwedelte und Ramses dadurch nur noch mehr gereizt werden würde.
Nachdem die doch recht kleine Zwackwunde im Krankenhaus versorgt wurde und der erste Schreck nachließ, war Bernd von Lukas enttäuscht, da er ihn bereits mehrfach aufforderte, mit dem Plüschtier nicht so doll rumzutoben. Petra war von Bernd enttäuscht, dass er Lukas die Schuld gab, dass Ramses gebissen hatte. Lukas war von Ramses enttäuscht, da er kein echter Freund, sondern ein böser gemeiner Hund sei. Solang Bernd zur Arbeit war und Lukas von der Schule kam, traute sich Lukas nicht mehr in die untere Etage, da er Angst vor Ramses hatte. Erst wenn Bernd nach Hause kam, traute sich Lukas zögerlich ins Wohnzimmer.
Damit Lukas auch wieder tagsüber am Familienleben teilnehmen konnte, wurde Ramses ab vormittags in den Garten geschickt und damit er am Gartenzaun niemanden beißen oder gar über den Jägerzaun springen konnte, wurde er auf der Terrasse mittels langer stabiler Leine festgemacht.
Als Bernd am Abend Ramses wieder ins Haus holen wollte, schnappte Ramses ohne Vorwarnung nach Bernd und biss ihn in den rechten Unterarm, als Bernd gerade den Karabiner der Leine öffnen wollte. Die Wunde war so tief und blutete so stark, dass Bernd vom Notarzt behandelt werden musste. Der Familienfrieden war hin und den Hansens war bewusst, dass dringend etwas passieren musste.
Heute ist Ramses seit über 14 Monaten im Tierheim untergebracht und gilt als schwer vermittelbar. Eine zweite Chance hat er bis heute nicht erhalten. Die Hansens leben heute ohne Hund und verstehen bis heute nicht, warum Ramses nicht der liebe Familienhund gewesen ist, obwohl sie alles für ihren Hund getan haben, was in ihrer Macht stand.
Die Geschichte von Ramses und den Hansens ist von mir frei erfunden, aber so oder so ähnlich kann es geschehen, wenn Hundehalter und Hund sich von Beginn an nicht verstehen und die Ansprüche eines Hundes sowie die Verantwortung von Züchter und Halter an Tier, Umwelt und Gesellschaft nicht bekannt sind.
Sich früh genug professionelle Hilfe zu holen ist niemals ein Eingeständnis von Schwäche oder gar Versagens, sondern ein Zeichen von Verantwortung und Weitsicht für sich und seinen Hund.